Verantwortung der Gestalter
Jedes Blatt Papier wurde aus einem Baum gewonnen, für jeden Klick bemühte sich eine Turbine. Deshalb ist jedes ungelesene Buch Verschwendung wertvoller Rohstoffe und jedes ziellose Bit verschleuderte Energie. Gehen wir zu weit, wenn wir jedes Gramm in die Waagschale werfen? Welche Verantwortung hat die Branche, die solche Anreize zum Konsum liefert? Ist der Gestalter mit seinem Beitrag zur Vermarktung einer Dienstleistung oder eines Produktes Zündblättchen für unseren verschwenderischen Umgang mit den sich erschöpfenden Ressourcen?
Stephan Bohle gibt in einem Appell eine klare Antwort: ja. »Wir wissen aus zahlreichen Studien, dass es für eine nachhaltige Entwicklung eines Kulturwandels mit geänderten Werten, Gewohnheiten und Einstellungen bedarf. Wer, wenn nicht die Kommunikations- und Designindustrie, kann dazu beitragen, eine Verhaltens- und Einstellungsänderung bei den Menschen zu erreichen?« Es geht nicht um die Vorreiter, die den Bruch solcher Muster ernst nehmen (z.B. social entrepreneurships) und mit ihren Dienstleistungen den Verzicht auf etwas und die damit verbundene und notwendig werdende Vernetzung vermarkten oder aus urbanen Bedürfnissen (z.B. car sharing bei Mobilität) heraus Konzepte entwickeln. Es geht um die Überwindung der klassischen Strategie der Verführung. Bohle nennt das durch Victor Lebow vor 60 Jahren formulierte Credo, »dass man den Kauf und den Gebrauch von Waren in Rituale verwandeln solle und dass die Menschen ihr Selbstwertgefühl im Konsum suchen müssen, um die Fabriken am Produzieren zu halten«. Mit dem Überfluss verbundene und häufig auch unterbewusst wirkende Slogans kennt jeder.
Der mündige Verbraucher kann sein Konsumverhalten umstellen. Eine ganze Gesellschaft kann das nicht auf Knopfdruck. Jedoch könnte die Kommunikationsbranche alles ändern wie ein Prediger auf der Kanzel, mindestens aber einen Paradigmenwechsel einläuten. Wenn sie wollte und ihrerseits darauf verzichten würde, indivduellen Profit über das Gemeinwohl zu stellen. Die Antworten der Dachverbände beschwichtigen allerdings den Status quo: »Mit einer unverschämten Gelassenheit machen […] die Protagonisten so weiter, als wäre nichts geschehen. Weder der Zentralverband der Werbeagenturen (ZAW), noch der Gesamtverband Deutscher Werbeagenturen (GWA) beteiligt sich an der Diskussion um die zukünftige Entwicklung unseres Planeten. Im Gegenteil. So weist der ZAW alle Verantwortung und Handlungsoptionen von sich. Zitat: ›Die massenmediale Werbung, namentlich Werbeanzeigen und -spots, sind für umweltrelevante Informationen nicht der geeignete Ort.‹ Und die GWA-Argumente setzen unkritisch auf die Rezepte längst vergangener Tage: ›Kein Marketing – Kein Konsum – Kein Wachstum‹.« Es wird natürlich der Verlust einer unbezifferbaren Anzahl von Arbeitsplätzen prognostiziert, sollte sich irgendetwas an der Kommunikationsmentalität ändern müssen.
Die Mad Men sind nicht bereit. Den Verbrauchern wäre es allerdings längst zuzumuten, auch in ihrer Rolle als Arbeitnehmer. »Ein Kulturwandel ist nötig« – ein grundlegender vor allem bei denen, die Marketing verantworten.
Der Beitrag von Stephan Bohle wurde im Magazin FORUM Nachhaltig Wirtschaften Nr. 04/2013 unter dem Titel »Das Versagen einer Branche« veröffentlicht, nachzulesen unter http://bit.ly/1pqaFRi.